Januar 2004 Umweltbrief.org Je mehr Gesetze und Verordnungen es gibt, desto mehr Verbrecher gibt es. Lao-tse Schuldenfalle, Rentenproblem, Arbeitslosigkeit und Zwei-Klassen-Gesellschaft - ein Rundumschlag ____________________________________________________________________________ Schuldenfalle, Rentenproblem, Arbeitslosigkeit und Zwei-Klassen-Gesellschaft - neue Regeln braucht das Land? Der Generationsvertrag, nachdem die Werktätigen die Rentner zu ernähren haben, ist in Auflösung begriffen sowie auch das soziale Netz. Einerseits gibt es immer mehr Rentner, die immer älter werden, andererseits immer weniger Werktätige, die diese Renten aufbringen könnten. Europa bewegt sich mehr und mehr auf US-amerikanische Verhältnisse zu, in den die Auflösung der Mittelschicht und die Entstehung einer Zwei-Klassen-Gesellschaft (entweder arm oder reich) bereits in vollem Gange ist. Bundespräsident Rau hat eindringlich davor gewarnt, gesellschaftliche Kernaufgaben immer mehr unter ökonomische Sparzwänge zu stellen: "Wenn wir alle Lebensbereiche nur noch nach wirtschaftlichen Gesetzen formen, geraten wir in eine Sackgasse", sagte er in seiner letzten Weihnachtsansprache. Ein anderer Bundespräsident wollte, dass ein "Ruck durchs Land" geht und Helmut Schmidt meinte schon vor 10 Jahren, dass wir zu viele Gesetze haben, so viele, dass man bereits den Überblick verloren habe. Tatsächlich haben wir in Deutschland allein 70.000 Steuergesetze und selbst Experten können nicht alle kennen. Wenn man in Deutschland aber feststellt, dass die vielen Regeln die Probleme nicht lösen, erfindet man einfach neue Regeln hinzu. Eine allgemeine Lähmung ist die Folge! Durch immer mehr Regeln werden die Menschen nur noch mehr verunsichert und kaum jemand kann es noch wagen, kreativ zu sein. Die Ich-AGs zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit sind dann zum Scheitern verurteilt, wenn sie durch übertriebene Bürokratie schon vorab gelähmt werden. "Je mehr Gesetze und Verordnungen es gibt, desto mehr Verbrecher gibt es", wie schon Lao-tse sagte. Aber auch die EU hilft kräftig mit, wenn es um neue Regeln geht; für Finanzberater z.B. soll bald ein neues Regelwerk entstehen, dass wiederum nur mehr Bürokratie entstehen lässt und eine Vermögenschadenhaftpflicht-Versicherung etc. zwingend erforderlich macht. Auch gibt es neue Gesetze für die "lebenshelfenden Berufe", wie alternative Heiler etc., die angeblich den Verbraucherschutz erhöhen sollen. Tatsächlich aber werden dadurch auch wieder US-amerikanische Verhältnisse geschaffen; die Eigenverantwortung des Verbrauchers wird auf den Dienstleister (also andere) abgewälzt, den man dann bald wegen jedem Dreck auf Millionen Schadenersatz verklagen kann, wie es in den USA bereits Unsitte ist. So wird dann auch ein jeder Lebenshelfer eine Vermögenschadenhaftpflicht-Versicherung brauchen. Die Versicherungen wird es sicherlich freuen, aber dem Verbraucher tut man keinen Gefallen damit; einerseits werden sich Dienstleistungen dadurch verteuern, andererseits wäre es sinnvoll, wenn der Verbraucher - der einzelne Mensch selbst - endlich die Verantwortung für seine Handlungen und Entscheidungen übernehmen würde. Sonst sind tatsächlich immer die andern Schuld und das führt zu individueller Ohnmacht und Unmündigkeit. Dann können nur noch Anwälte helfen... Und was ist mit der Werbung? Die üblichen Unterstellungen über Einzigartigkeit und Qualität der Produkte haben nichts mit reeller Information zu tun! Abgesehen davon, dass Werbung meist zu überflüssigem Konsum aufruft, müsste sie dann nicht so gestaltet werden, dass der zu schützende Verbraucher sich verbindlich auf sie verlassen kann?! Werbeversprechen müssten dann also auch einklagbar sein! Und alle Nebenwirkungen (z.B. Waschmittel und Umwelt sowie Süßigkeiten und Karies etc.) müssten aufgelistet werden. Und natürlich müsste es ein Verbot des Ansprechens von Zielgruppen geben, die über kein eigenes Einkommen verfügen, um katastrophalen Überschuldungen zu vermeiden. [Ein Nebeneffekt davon ist, dass bald auch die Banken durch allgemeine Zahlungsunfähigkeit ("Knietief im Dispo") in Schwierigkeiten kommen, was weitreichende Folgen haben wird!] Und was ist mit suchtsteigernden Zusatzstoffen (bis zu 200 verschiedene Chemikalien in einer Zigarette; .z.B. Ammonium als Nicotin-Beschleuniger) in Tabakprodukten? Die Verbraucher werden über die Beimischungen weder informiert, noch gibt es irgendein Verbot dieser Stoffe! "Wenn ich nicht mehr weiter weiß, bild ich einen Arbeitskreis." Natürlich sind es nicht die vielen überflüssigen Regeln allein, die Europa in die Lähmung ziehen und die (noch) Tätigen bereits jetzt demotivieren. Globalisierung, Automation, Lean-Management etc. führen zu immer mehr Stellenabbau (strukturell bedingter Arbeitslosigkeit) und immer weniger Steuern und Rentenzahlungen für den Staat, der zudem die vielen Arbeitslosen auch noch unterstützen muss und für die Renten aufzukommen hat. Die großen Unternehmen machen durchweg gute Gewinne und zahlen dabei - wenn überhaupt - kaum Steuern! Sie drohen den Politikern mit der Verlagerung ihrer Produktion ins Billiglohn-Ausland, was die Mehrzahl der hiesigen Beschäftigen arbeitslos machen würde. Und genau hier liegt das Problem, denn es findet keine adäquate Umverteilung der Gewinne aus den Gewinnen des Sozialprodukts statt. Seit 1980 sind die Bruttoeinkommen in Deutschland um 17% hinter der Produktivitätsentwicklung zurück geblieben. In diesem Umfang hätten die Einkommen also steigen können, ohne die Gewinne zu schmälern! Aber im Zuge des forcierten Wirtschaftswachstums in der Globalisierung verliert der Faktor menschliche Arbeitskraft durch die Verwissenschaftlichung und Rationalisierung der Produktionsprozesse zunehmend an Bedeutung. Anstatt aber einen Ausweg aus dem Lohnarbeits-Dilemma zu suchen, wird um so fester am Prinzip der Lohnarbeit als dem wichtigsten Verteilungsinstrument des gesamtgesellschaftlich produzierten Reichtums festgehalten. Fatalerweise wird diese Strategie als der einzig gangbare Weg eingeschätzt. Die Lösung sollen Kommissionen und Kommissiönchen bringen, an denen Vertreter von Wirtschaft und Industrie jedoch gar nicht wirklich beteiligt werden, obwohl diese Personen allein über Kapital und Arbeitplätze verfügen und somit den Schlüssel für ökonomische und soziale Belange in der Hand haben! Darüber hinaus gibt es etliche TV-Talkrunden wie Christiansen oder Berlin-Mitte etc., die sich fast allesamt bemühen, das Thema nur an der Oberfläche zu berühren (Infotainment). Personen mit außergewöhnlichen Vorschlägen werden dort gleich in ihre Schranken verwiesen (dafür reicht die Sendezeit nicht). Die Politiker spielen dieses Spiel gern mit; haben sie doch auch keine Lösungen anzubieten und sind abhängig vom großen Wirtschaftskapital, auf das sie keinen wirklichen Einfluss haben. Das angekündigte Wachstum des Bruttoinlandsproduktes von 1,7% entspräche in 2004 einer zusätzlichen Produktion gegenüber 2003 von Gütern und Dienstleistungen im Wert von circa 34 Mrd. Euro. Wohin fließen diese 34 Milliarden, wenn dadurch keine neuen, bezahlten Jobs entstehen? Wir haben immer noch ein gemischtes Wirtschaftssystem, nur dass sich deren Komponenten gedreht haben: Keynesianismus nach oben, d.h. großzügige finanzielle Unterstützung für die großen Konzerne; Neo-Liberalismus nach unten, also das Abkappen der sozialen Sicherungssysteme für jene, die bei dieser Entwicklung auf der Strecke bleiben. Was wird geschehen, wenn auch die nächste Bundesregierung - was vorauszusehen ist - keine Lösungen für diese Probleme anzubieten hat? Bricht unser politisches System dann zusammen? Was wird aus den Bürgern, die keine Aktionäre sind und die in einer Zwei-Klassen-Gesellschaft nicht an der Umverteilung der Gewinne teilhaben dürfen und ohne Geld und Arbeit sind? Werden diese Menschen dann zwangläufig in die Kriminalität getrieben? Will man warten, bis die Rechtsradikalen ihre Pseudo-Lösungen anbieten und mit künstlich geschürter Angst (Schill-Syndrom) Wählerstimmen ziehen? Werden die Reichen noch Spaß daran haben können, reich zu sein, wenn sie permanent mit Neid und Kriminalität konfrontiert werden (siehe z.B. Sao Paulo)? Und wer soll die angebotenen Produkte überhaupt noch kaufen können, wodurch die Reichen reich bleiben? Machen sich die verantwortlichen "Shareholder" und Konzernchefs überhaupt Gedanken darum oder träumen sie weiterhin den Traum von "Chancengleichheit" und Leistungsgesellschaft? Aber Leistung zählt nur solange, wie sie gebraucht wird. So entließ Edmund Stoiber 12.600 Angestellte des öffentlichen Dienstes, um "einzusparen" und die "gesparten" Gelder zur "Haushaltssanierung" zu nutzen. In der derzeitigen eindimensionalen Wirtschaftspolitik übersieht der bayrische Landesfürst jedoch, dass die Entlassenen Anspruch auf Arbeitslosengeld haben, die Löhne also nicht vollständig als Ersparnis anfallen. Wenn im Kapitalismus Wirtschaftswachstum so wichtig ist, warum werden dann Millionen von Arbeitnehmern auf die Straße gesetzt? Stellt das System sich an dieser Stelle nicht selbst ein Bein? Man stelle sich einen Ameisen-Haufen vor, in dem einem Fünftel der wuselnden Bewohner verboten wird, mitzuhelfen. Nicht, dass die Hilfe nicht erwünscht wäre, schließlich schafft jede zusätzlich arbeitende Ameise neuen Wohlstand, indem mehr Nahrung angehäuft und mehr Unterkünfte erbaut werden. Aber "irgendetwas" sorgt dafür, dass ihre Hilfe nicht mehr erwünscht ist. Bürger = Shareholder ____________________ In unserem System ist nur noch der Shareholder ein echter Bürger. Kapitalismus in seiner Spätphase und im 21. Jhdt. funktioniert aber nur solange er demokratisch bleibt und zumindest gewisse Chancen einräumt. So paradox es klingen mag, auch Arbeiter müssen Shareholder werden in Zeiten, wo ihre Arbeit nicht mehr gebraucht wird und das soziale Netz sich auflöst. Nur so sind sie an den Gewinnen des Sozialprodukts noch beteiligt, nur so können sie überleben; ob werktätig, arbeitslos oder in "Rente" (was immer das später sein wird). Jede und jeder muss jetzt schon für ihre/seine Rente selbst sorgen (besonders Frauen), denn der Staat ist zahlungsunfähig! Mit einem Sparplan von 100 bis 150 Euro monatlich sichert man sich eine Rente für später. Es gibt z.B. Fondssparpläne/Fondspolicen, die diversifiziert in ethisch-ökologische Aktien investieren (z.B. UmweltaktienRente) und sogar den Todesfall absichern. So erhält man eine doppelte Rendite: eine Rente und eine intakte Umwelt! Bislang geht man in Politik und Wirtschaft die Probleme nicht wirklich an und scheint dies auch nicht zu wollen, solange man Pöstchen hat und Diäten und Renditen erhält. Und jeden Tag kommen 20 neue Regeln dazu, die nur Symptome bekämpfen und wahrscheinlich pure Ablenkung sind. Man kratzt also so lange nur an der Oberfläche der Probleme, bis das Aussitzen der strukturellen sozialen, politischen, ökonomischen und ökologischen Missstände uns in eine so tiefe Lähmung geführt haben wird, dass wir handlungsunfähig geworden sind und das jetzige System zusammenbricht! Dann werden die heutigen Schwellenländer über unser Schicksal bestimmen können und wir haben wieder Grund zu behaupten, dass wir ohnmächtig sind und die anderen Schuld... Mehr dazu im Archiv: Arbeitsplätze und Freizeitgesellschaft und http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/mein/16390/1.html http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/mein/16245/1.html Wege aus der Ohnmacht - was können wir selbst tun? __________________________________________________ Unser Geld ist materielle Energie. Es ist mächtig, auch wenn es wenig ist. Wo wir unser Geld hingeben, fördern wir automatisch! Geld ist auch das "Schmieröl der Politik". Die Gesamtzahl der Verbraucher ist also sehr mächtig. Entscheidend ist, - wo wir unser Geld anlegen (in Öl, Rüstung oder in nachhaltige Investments), - was wir mit unserem Geld kaufen (Dieselautos oder Fahrräder; Sondermüll oder nachhaltige Produkte), - bei wem wir es kaufen (aus Billiglohnländern mit Kinderarbeit oder bei nachhaltig wirtschaftenden Firmen), - dass wir uns endlich als einflussreiche Einzelperson betrachten, die Gestaltungsfreiraum hat, - dass wir Verantwortung für uns selbst übernehmen (z.B. "Shareholder" werden und selbst für unsere Rente sorgen), - dass wir basis-demokratisch werden (z. B. kommunale Selbstverwaltung statt "Lobby-Demokratismus"), - dass wir auf die Besteuerung der Löhne verzichten und eine reine Besteuerung von Ressourcen und ihrem Verbrauch durchführen. Es wird Zeit, Abschied zu nehmen vom Märchen der individuellen Ohnmacht. Wenn wir unser Leben selbst in die Hand nehmen und unsere Verbrauchermacht nutzen, können wir auf Werbung und lapidare Fernsehdebatten verzichten. Und durch wirklich in jeder Hinsicht nachhaltiges Handeln werden sich dann sogar die sozio-ökonomischen Normen und Werte verschieben, schon weil dadurch andere Lobbys entstehen und eine andere Form von Macht ausgeübt werden kann, eine Macht, die eine ethisch-ökologische Gesellschaft - und damit unser Überleben im 21. Jahrhundert - erst möglich werden läßt.