Januar 2010 Umweltbrief.org Shoppen als Belohnung _____________________ Ich will! Ich will! Ich will - was Neues! Unsere Umwelt erstickt am Konsummüll und unsere Wirtschaft am Konsum auf Pump. Mit der umweltschädlichen Abwrackprämie, offiziell auch noch "Umweltprämie" genannt, hat die Große Koalition die Bürger sogar fürs Konsumieren bezahlt. Verzicht ist nicht en vogue, das zeigt auch der Wahlsieg des schwarz-gelben Verschwendungsprogramms. Mehr Schulden sollen für mehr Konsum sorgen, mehr Konsum für mehr Wachstum, mehr Wachstum für mehr Wohlstand. Konsum scheint zu einer wesentlichen Bürgerpflicht geworden zu sein. Bloß: Es ist ein Wohlstand auf Pump; er gehorcht ebenjener Logik, die uns die Wirtschaftsmisere eingebrockt hat. Einem konsumistischen Manifest. Der Soziologe Lord Ralf Dahrendorf hatte dazu geraten, wieder zu sparen, statt alle Bedürfnisse sofort auf Pump zu befriedigen. Auch Bundespräsident Köhler rief zum Maßhalten auf, ebenso der Philosoph Richard David Precht, der die ökologischen Probleme noch größer einschätzt als die ökonomischen: "Daher ist ein Nullwachstum geradezu gefordert." Es sei obszön, "noch reicher werden zu wollen, als wir bereits sind". Seit 1960 hat sich der Konsum versechsfacht! Die Lohas wollen die Welt mit Shopping verbessern. Sie kaufen Biolebensmittel, Naturkosmetik und Ethik-Mode - und setzen darauf, mit ihrer Nachfrage den Markt zu verändern. Hin zu mehr Ökologie. Und mehr sozialer Gerechtigkeit. Ein guter Ansatz, aber dabei fallen sie zuweilen auch auf Greenwashing herein bzw. sind dabei inkonsequent hedonistisch. Konsumkritiker halten dagegen, dass Konsum per se nicht nachhaltig ist, denn Wirtschaftswachstum und Nachhaltigkeit sind eben nicht kompatibel. Sie fordern mehr Gesetze statt mehr Produkte, politische Reformen, wirtschaftliche Stagnation, Askese! Die Krise als Chance, den Konsumismus zu überdenken. "Wir sollten uns lieber wieder an Bäume ketten, anstatt von Autokonzernen welche pflanzen zu lassen." [Doch was soll das bringen? Auch in 40 Jahren Protestkultur ist so kein Waldsterben verhindert worden, kein Atomkraftwerk, kein Castor-Transport und erst recht nicht der stetig steigende Konsum!] Das Problem ist unser Gehirn. "Konsum bereitet Lust", berichtet die Wissenschaftsjournalistin Eva Tenzer in ihrem neuen Buch "Go Shopping!". Produkte, die Status und Wohlstand symbolisieren, aktivieren den Nucleus accumbens im Vorderhirn - ein Belohnungszentrum, das Glückshormone ausschüttet und sich auch mit Drogen, Sex und Süßigkeiten stimulieren lässt. Tenzer nennt es den "G-Punkt des Homo consumens". Das Konsumieren hat sich im Laufe der Evolution bewährt. Haben und Sein lagen immer schon dicht beieinander, denn wer mehr aß, mehr hatte und mehr tauschen konnte, hatte bessere Chancen im Kampf ums Dasein. Darum haben unser Hirn und unser Hormonhaushalt zahlreiche Mechanismen entwickelt, uns die Enthaltsamkeit schwerzumachen. "Die Evolution favorisiert Luxus", weil Vorratskammern und Statussymbole von jeher das Überleben sicherten. "Das menschliche Gehirn selbst liebt den Konsum, und es verschmäht Askese." Ein und derselbe Wein schmeckt uns besser, je teurer er etikettiert ist, selbst Schmerzmittel helfen uns besser, je höher ihr Preis ist. Unser Gehirn belohnt zudem unerwartete Genüsse, also nicht nur den Genuss von etwas Teurem, sondern vor allem von etwas Neuem. Und so laufen Kapitalismuskritik und Aufrufe zum Konsumverzicht oft ins Leere: "Go Shopping! scheinen die Neuronen wider alle Vernunft selbst in wirtschaftlichen Krisenzeiten zu rufen." Letztlich sei gegen die Lust auf MEHR kein vernünftiges Kraut gewachsen. Natürlich wäre jede mögliche Konsumvermeidung das Beste für Umwelt, Klima und die Menschheit. Für klimatische und wirtschaftliche Nachhaltigkeit sind daher nicht Konsumanreize das Gebot der Stunde, sondern Konsumschranken. Doch Askese und Verzicht sind dem Vorderhirn-Belohnungszentrum des Menschen gar nicht kommunizierbar. Hinzu kommt, dass es vielen Menschen an der wahren Berufung fehlt, sie daher sehr unzufrieden mit Leben und Arbeit sind und inzwischen durch die Werbung so verblendet worden sind, dass Shoppen für sie zum Lebensinhalt geworden ist. Sie wollen sich vom Frust "entschädigen" und konsumieren dann rein kompensatorisch. So sind 17% der Deutschen bereits kaufsuchtgefährdet! In Österreich sind jeweils fast doppelt so viele betroffen. Dies führt dann zu Überschuldung und schließlich zum Privatkonkurs. Als Verursacher von Kaufsucht gilt die Werbung mit ihren Konsum-Glücksversprechen. Die 500.000 Euro teure Extraanfertigung eines Ferrari signalisiert dem Golf GTI Fahrer, dass er "eigentlich", mit einigem Glück, doch "vielleicht" auch einmal in diese Kategorie aufsteigen könnte. Und schon ist dieser junge Mann auf diese Art von Glücksgesellschaft fixiert. Leider ist dieses Glück nur von sehr kurzer Dauer und schon muss wieder nachkonsumiert werden... So greifen sowohl die Lohas als auch die Öko-Fundamentalisten zu kurz. Es scheint also nur zwei Lösungen zu geben: Entweder man nimmt der Bevölkerung die Konsumfähigkeit, indem man sie in die Armut von Reisbauern fallen lässt oder man bringt sie dazu, wirklich nachhaltig einzukaufen, wenn sie denn schon kaufen "müssen". Das erfordert allerdings * wirklich nachhaltige Angebote aus regionaler Produktion mit regionalem Vertrieb, * langlebige Produkte statt Wegwerfware, * mehr Transparenz (z.B. Ampelregelungen für alle Waren), * den Verzicht auf Plastikverpackungen, * kurze Versorgungswege (mit der Bahn statt mit Flugzeug und Lkw), * nachhaltiges Reisen (Bahn statt Flugzeug) * Produkte, bei denen schon bei der Herstellung ans Recyclen gedacht wird, * teure Biowaren statt billige Massentierhaltung, * keine Gen- und Nanotechnik, * Regelementierung von Marketing und Werbung, * und einige Vorarbeit bei der Anbieter- und Produkt-Recherche. Das wird in nächster Zeit sicher kommen. Und es erfordert viel Aufklärung in der Bevölkerung: So kommt Energieeffizienz erst nach Ressourcenschonung; beide hängen jedoch voneinander ab. So ist es in Wirklichkeit gar nicht unbedingt erforderlich, Strom zu sparen, wenn man denn den richtigen Strom kauft, nämlich echten Ökostrom! Denn nur wenn genügend Ökostrom gekauft wird, haben die für uns so dringend erforderlichen Erneuerbaren Energien die Chance zu wachsen und schließlich flächendeckend zu arbeiten. Im Zuge eines konsequenten Ausbaus von Ökostrom müssen z.B. EU-weit 6000 Kilometer Leitungen neu verlegt werden. Solange die Konsumenten jedoch noch so viel Atom- und Kohlestrom kaufen, wird das nix. Auch die Energiesparleuchte erfüllt da leider wieder nur eine Alibi-Funktion, von denen wir schon so viel haben. Die Macht des Geldes: Dort wo es hinfließt, geschehen drastische Veränderungen - in Politik, Wirtschaft und Konsum. Das Geld der Konsumenten (und wo es hinfließt) ist das probateste Mittel zur Steuerung von Angebot und Nachfrage in einem Marktsystem, das wir ja in irgendeiner Form immer haben werden. Nur was Konsumenten kaufen, wird produziert. Und umgekehrt: Was Konsumenten nicht mehr kaufen, wird auch nicht mehr hergestellt. Resourceneffizienz ist weit wichtiger als Energieeffizienz. Sämtliche Geräte verbrauchen nämlich während ihrer gesamten Nutzungsdauer nicht annähernd so viel Energie und Ressourcen wie bei ihrer Herstellung! Resourceneffizienz bringt allerdings den Herstellern so direkt kein Geld ein, da der ökologische Fußabdruck einer Ware (noch) nicht in den Preis einfließt. Also muss das Hauptaugenmerk der Konsumenten darauf gerichtet sein, Ressourcen zu sparen! Das geht, wenn man z.B. Gebrauchtes kauft. Denn entscheidend für den nachhaltigen Konsum ist vor allem der ökologische Fußabdruck eines Produkts. Dieser beschreibt die Menge an verbrauchten Ressourcen, die bei der Herstellung, dem Gebrauch und der Entsorgung eines Produktes oder einer Dienstleistung aufgewendet werden müssen. Das Klima liegt in Konsumentenhand Wie bringt man aber die Konsumenten dazu, nachhaltig zu konsumieren? Zunächst ist Öko nicht besonders sexy; muss es aber werden, wenn daraus ein Megatrend entstehen soll. Die Konsumenten müssen schon die Überzeugung spüren, den richtigen und tollen Fairtrade-Kaffee zu trinken und den coolsten elektrischen Öko-Kleinwagen zu fahren und damit Avantgarde zu sein. Wenn ich das spüre, kann ich es rüberbringen. Und wenn ich es rüberbringe, werden auch weniger betuchte Mitbürger nachziehen wollen und kaufen. Um dabei zu sein. So wie sie jetzt auch teilweise große Autos kaufen. Wenn der strategische, nachhaltig denkende Konsument bei den anderen nicht das "will ich auch"- oder "muss ich haben, um dazuzugehören"-Gefühl weckt, dann kaufen die anderen diese Produkte auch dann nicht, wenn sie das Geld haben. Die Produkte einer neuen gesellschaftlichen und politischen Leitlinie müssen so scharf daherkommen, dass wir damit die anderen neidisch machen. Dann läuft der Laden der öko-sozialen Wirtschaft. Mehr bei http://www.utopia.de/leitfaden-fuer-konsumstrategen-wann-zieht-die-masse-mit http://www.eco-institut.de/e9579/e42011/e43031/news43081/index_ger.html http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,668298,00.html http://www.heise.de/tp/r4/artikel/31/31755/1.html http://www.fit-fuers-geld.de/upload/skm_fakten_lange.pdf http://www.utopia.de/produktcheck Kaufsucht trotz Wirtschaftskrise ungebrochen ____________________________________________ Knapp ein Fünftel der deutschen Verbraucher haben ein ernsthaft problematisches Konsumverhalten. In Österreich ist es sogar ein Drittel. 17% der Deutschen sind kaufsuchtgefährdet. Näher besehen: 11% der Deutschen sind ausgeprägte kompensatorische "Shopper" und 6% sind de facto kaufsüchtig. Der Ausgangspunkt für Kaufsucht ist die eminent positive gesellschaftliche Bedeutung des Konsums. Grundsätzlich ist heute in vielen Fällen Konsum sozial bestimmt. Rein gebrauchswertorientiertes Kaufen - sozusagen der alte und in der Ökonomie immer wieder beschworene "rational handelnde Verbraucher" - ist da fast schon eine Ausnahme. Kaufsucht ist im wesentlichen jung und weiblich: 16% Frauen und 5% Männer. Mehr bei http://www.heise.de/tp/r4/artikel/31/31755/1.html