Mai 2009 Umweltbrief.org Ökosoziale Marktwirtschaft und Generationengerechtigkeit ________________________________________________________ Von Josef Riegler Ökosoziale Marktwirtschaft ist geradezu der Prototyp von Generationengerechtigkeit. Ihr zentrales Anliegen ist die Realisierung von Nachhaltigkeit (=Dauerhaftigkeit) in Wirtschaft, Sozialem und Umwelt. Das Kernelement von Ökosozialer Marktwirtschaft ist Balance. Gemeint ist die Balance zwischen leistungsfähiger Wirtschaft, gelebter sozialer Solidarität und nachhaltigem Schutz des Lebensraumes für die Generationen nach uns. Ökonomie, Ökologie und Soziales bilden das „Magische Dreieck“ der Ökosozialen Marktwirtschaft. Das ist ein sehr anspruchsvolles Konzept – insbesondere für politische Gestaltung! Im Klartext: Ökosoziale Marktwirtschaft ist ziemlich das Gegenteil von dem, was heute so läuft – vor allem auf globaler Ebene: Dort dominieren entfesselte Gier und rücksichtsloses Profitstreben „ohne Rücksicht auf Verluste“. Aber auch europäische Nationalstaaten tun sich immens schwer, auf einen Pfad der Nachhaltigkeit, z.B. bei der Finanzierung der Sozialsysteme, dem Schutz der Lebensräume oder der Sicherung eines hohen Niveaus von Lebensqualität, zurückzukehren. Politik wurde einerseits zur Getriebenen einer entfesselten weltweiten Ökonomie und sie ist andererseits Gefangener widerstreitender egoistischer Gruppeninteressen. Ökosoziale Marktwirtschaft ist eine Perspektive, die Hoffnung gibt. Vorausgesetzt, es gelingt, die maßgeblichen politischen Kräfte dafür zu gewinnen, Zukunft zu gestalten, faire Spielregeln zu schaffen und diese auch durchzusetzen. Also ziemlich das Gegenteil von dem, was heute in der gegenseitigen Aufschaukelung zwischen profitgetriebenen Medien und profilierungssüchtigen politischen Akteuren abläuft. Wertorientiert betrachtet ist Ökosoziale Marktwirtschaft die konstruktive Alternative zur derzeit global dominierenden „neoliberalen Schule“ einer einseitig von Kapitalinteressen und kurzfristiger Profitorientierung getriebenen globalisierten Ökonomie. Sehr treffend wurde dieser Gegensatz von Ludwig Erhard, dem „Vater der Sozialen Marktwirtschaft“ und Milton Friedman als geistigem Protagonisten der neoliberalen Schule auf den Punkt gebracht: „Wohlstand für alle“ (Ludwig Erhard) „Die soziale Verantwortung von Managern ist Profitmaximierung für die Aktionäre“ (Milton Friedman). Ideengeschichtlich steht Ökosoziale Marktwirtschaft als Weiterentwicklung der Sozialen Marktwirtschaft im Zentrum. Links bis weit links befindet sich die marxistische Kommando- und Planwirtschaft, die ihre wirtschaftliche, soziale und ökologische Unfähigkeit mit dem Zusammenbruch des Kommunismus auf offener Bühne demonstriert hat. Rechts bis weit rechts ist das derzeit wieder dominierende Modell eines profitgetriebenen, kapitalistischen Wirtschafts- bzw. Gesellschaftssystems angesiedelt, welches gerade dabei ist, zum zweiten Mal zu beweisen, dass es ungeeignet ist, Wirtschaft und Gesellschaft nachhaltig in Frieden und Balance zu halten. Von der Sozialen Marktwirtschaft zur weltweiten Ökosozialen Marktwirtschaft: Mit der Dominanz der profit- und kapitalgetriebenen globalisierten Ökonomie seit Beginn der 1990er-Jahre wurde das europäische Modell der Sozialen Marktwirtschaft mehr und mehr ausgehöhlt und an den Rand gedrängt. Das spüren viele Menschen am eigenen Leib und daher kommt auch das politische Unbehagen. Die entscheidende Frage für die Zukunft lautet daher, ob und wie es gelingt, auch für eine global vernetzte und agierende Ökonomie FAIRE SPIELREGELN zum Schutz der Menschen und zur langfristigen Sicherung der Lebensräume zu schaffen und durchzusetzen. Ökosoziale Marktwirtschaft heißt konkret: 1. Eine leistungsfähige Wirtschaft, welche Werte, Arbeit und Einkommen schafft. Das erfordert beste Bildung und Weiterbildung, Forschung und Innovation sowie leistungsfreundliche Steuer- und Abgabensysteme. Es geht um Chancen für Tüchtige. Konkrete Frage: Warum wird im derzeitigen Steuersystem Erwerbsarbeit – ob als Selbstständiger oder Unselbstständiger – gegenüber Einkommen aus Kapitalveranlagung sichtbar benachteiligt? Warum schaut die Staatengemeinschaft bisher tatenlos zu, wie durch eine Vielzahl von Steueroasen Steuerflucht und damit Diebstahl an der eigenen Volkswirtschaft gefördert wird? Was wird gewollt: „Chancen für Tüchtige“ oder „Begünstigung für Dollar-Millionäre“? Die Politik wird sich diesbezüglich entscheiden müssen. 2. Gelebte soziale Solidarität Das ist eine der größten aktuellen Herausforderungen im Sinne von Generationengerechtigkeit. Seit den 1970er-Jahren lebt die ältere Generation mehr und mehr auf Kosten der Jungen. Die Finanzierung der öffentlichen Haushalte sowie der Gesundheits- und Sozialsysteme ist nicht nachhaltig. Korrekturen sind schwierig und werden vom Wähler meistens abgestraft. Aber sie sind unausweichlich. Die derzeitige höchst oberflächliche Diskussion über Vorziehen oder Nicht-Vorziehen von „Steuersenkungen“ geht völlig am Problem vorbei. Was wir brauchen, ist eine wirklich zukunftstaugliche Neugestaltung unseres gesamten Systems von Steuern und Abgaben; des Aufgabenprofils der öffentlichen Hand sowie des Leistungsprofils und der Finanzierungsbasis des gesamten Sozial- und Gesundheitssystems. Das Ziel ist ein hohes Niveau von Lebensqualität, getragen von einer fairen Mittelaufbringung, welche niemanden überfordert, aber auch niemanden aus seiner Verantwortung für das Gemeinwohl entlässt. Der Begriff "Wertschöpfungsabgabe“ sollte enttabuisiert werden. Eine maßvolle, aber vergleichbare Besteuerung von Erwerbs- und Kapitaleinkommen, eine bessere Balance zwischen der Besteuerung von Arbeit und Ressourcen ist notwendig. Ganz wichtig: Angesichts der Überalterung und der „Versingelung“ unserer europäischen Gesellschaften brauchen wir starke Impulse, um es Familien, Eltern, Kindern und privaten Einrichtungen zu ermöglichen, ihre Aufgaben in Betreuung und Pflege wahrnehmen zu können. Und schließlich: Soziale Solidarität ist im 21. Jahrhundert ohne den Blick auf die globale Verantwortung nicht mehr möglich. 3. Ökologie – Nachhaltige Sicherung der Lebensgrundlagen Global betrachtet liegt darin wahrscheinlich die größte Herausforderung für Generationengerechtigkeit. Seit dem ersten Bericht des Club of Rome im Jahr 1972 wissen wir, dass die Menschheit auf Kosten der Zukunft agiert. Wir leben seit 30 Jahren mehr und mehr vom „Kapital“ der Naturschätze und nicht von den „Zinsen“ der Erträge, welche uns die Natur schenkt. „Die Erde hat genug für jedermanns Bedürfnisse, aber nicht für jedermanns Gier“, dieser pointierte Satz von Mahatma Gandhi trifft genau den Kern der Sache. Die Trendumkehr von einer „Zivilisation des Raubbaues“ hin zu einer „Zivilisation der Nachhaltigkeit“ fällt uns Menschen sehr schwer. Aber genau darin liegt das Herzstück von Ökosozialer Marktwirtschaft. Das „Neue“ an der Ökosozialen Marktwirtschaft gegenüber der Sozialen Marktwirtschaft ist die Integration der ökologischen Nachhaltigkeit in das gesamte Wirtschafts- und Gesellschaftssystem. Der Kurswechsel hin zur ökologischen Nachhaltigkeit wird nur gelingen, wenn sich Umweltschutz auch wirtschaftlich rechnet. Um diesen Paradigmenwechsel geht es. Das ist eine „Bringschuld“ der Politik auf nationaler, europäischer und globaler Ebene. Die „Verteidiger der Besitzstände“ setzen sich mit allen Erpressungsmethoden über die Erfordernisse der künftigen Generationen hinweg. Ökosoziale Marktwirtschaft bedeutet diesbezüglich ganz konkret: a) Ökologische Kostenwahrheit schaffen: Wie viel kostet eine Tonne CO2; eine Einheit Belastung von Wasser oder Boden; eine Einheit an Verbrauch begrenzter Ressourcen? Heute wissen wir: Luft, Wasser und Boden sind keine „freien Güter“ ohne Marktpreis, wie uns eine veraltete Volkswirtschaftslehre weismachte. b) Durchsetzung eines strikten Verursacherprinzips. Wer belastet, soll auch zahlen! Der Handel mit CO2-Emissionsrechten ist ein richtiger Ansatz. Er darf nur nicht dadurch pervertiert werden, dass Großemittenten auf Vorrat Gratiszertifikate im Überfluss zugeteilt erhalten. Wir werden uns auch als Konsumenten darauf einstellen müssen, dass wir in Zukunft für den „Ökologischen Fußabdruck“ zahlen müssen. c) Umgestaltung unseres gesamten Steuer-, Abgaben- und Förderungssystems von einer Benachteiligung hin zu einer Förderung ökologisch nachhaltigen Handelns. Dasselbe gilt für die Vielzahl gesetzlicher Regelungen von den Bauordnungen bis zum Beschaffungswesen. d) Produktwahrheit und Produktdeklaration Der Konsument muss eine faire Chance bekommen, um zu wissen, was er kauft. Das wird in Zeiten weltweiten Handels und der Produktionsverlagerung immer wichtiger. Produkte auf Basis von Ausbeutung der Arbeitskräfte, Umweltzerstörung, Kinderarbeit, Gentechnik und Hormoneinsatz bei Lebensmitteln etc. konkurrieren im Verkaufsregal mit Produkten unter strengen ökologischen und sozialen Standards. Das ist massive Wettbewerbsverzerrung. Präzise Produktdeklaration ist daher das Mindeste – solange es nicht weltweit vergleichbare und verbindliche Sozial- und Umweltstandards gibt. Globalisierung erfordert globale Spielregeln Generationengerechtigkeit ist im 21. Jahrhundert ohne globale Gerechtigkeit nicht mehr möglich. Wir sehen das an aktuellen Fehlentwicklungen: - Die Zerstörung von Lebensräumen und die Folgen des Klimawandels erzwingen riesige Völkerwanderungen. - Die himmelschreiende Kluft zwischen „extrem reich“ und „extrem arm“ ist Nährboden für Hass, Gewalt, Terror und Krieg. - Ungezügelte Finanzmärkte als Spielwiese für Spekulanten und Hasardeure sowie „Offshoreplätze“ als Einladung zur Steuerflucht gefährden Volkswirtschaften und Systeme der Altersvorsorge. Daher brauchen wir auch für die globalisierte Wirtschaft – so wie das für die nationale Wirtschaft ein Faktum ist – klare und durchsetzbare Spielregeln: 1. Verbindliche Sozial- und Umweltstandards als Grundbedingung für fairen weltweiten Handel. 2. Transparenz auf den globalen Finanzmärkten und Sicherheitsvorkehrungen gegen ungezügelte Spekulation. 3. International abgestimmte Grundprinzipien für ein Mindestmaß an Steuergerechtigkeit. Eine Abgabe auf globale Kapitaltransfers wäre ein erster Schritt. Mehr zum Thema bei http://www.globalmarshallplan.org http://www.ne-na.de/A556D3%5CNENA%5CNENA_NEU.nsf/0/B76C1C33CD979591C125741E003CCCE1?OpenDocument http://www.sonnenseite.com/index.php?pageID=6&news:oid=n9975&template=news_detail.html http://www.woz.ch/artikel/inhalt/2008/nr14/International/16159.html In kapitalistisch orientierten Strukturen hebt man keine Schrauben auf, die herumliegen. Da geht es eher um Verschwendung. Das ist eine ganz andere Art von Ökonomie, weil der Arbeiter, der die Schrauben sammelt, daran denkt, wann und wie man die wieder gebrauchen kann. Dafür interessiert sich in unseren Strukturen bisland leider niemand. Studie: Richtiges CSR bringt richtigen Gewinn _____________________________________________ Philanthropie war gestern. Unternehmerische soziale Verantwortung (CSR) bringt Unternehmen heute nachhaltiges Wachstum. Das zeigt eine Studie von IBM, die auch Empfehlungen für integrierte CSR-Lösungen liefert. „Attaining Sustainable Growth through Corporate Social Responsibility“ ist der Titel einer neuen CSR-Studie der IBM-Corporation. Über 250 Wirtschaftsführer wurden befragt von den Autoren der Studie George Pohle, VP and Global Leader, IBM Business Strategy Consulting Practice, und Jeff Hittner, Corporate Social Responsibility Leader, IBM Institute for Business Value. Mehr bei http://www-935.ibm.com/services/us/gbs/bus/pdf/gbe03019-usen-02.pdf