Januar 2002 Umweltbrief.org Inhalt: + Woran scheitert Ökologie? + Wie weit darf die Kommerzialisierung des menschlichen Lebens gehen? + Der Gen-Glaube als soziale Phantasie Woran scheitert Ökologie? _________________________ "Ikarus" schrieb bei Indymedia.de: Öko-Erfindungen könnten alle Probleme lösen, die wir mit der Umweltverschmutzung haben.Nun könnte man sich fragen: Wieso haben wir dann noch Probleme? Warum es Öko-Erfindungen so schwer haben: Mein Besuch der Tagung zu dem entsprechenden Thema vom 30.03.-1.04.01 in der Frankenakademie auf Schloss Schney in Lichtenfels wurde veranstaltet von der Stiftung für Ökologie und Demokratie e.V. und der Gesellschaft für Interdisziplinäre Wissenschaften 'Interdis'. Anwesend waren Erfinder, die ihre Öko-Erfindungen vorstellten, der Präsident von Interdis, Hans Kaegelmann, Hans-Joachim Ritter (St. f. Öko.u.Demo.), der forschungspolitische Sprecher der Grünen, MdB Hans-Josef Fell, und Gäste aus dem Bereich der Wirtschaft und weitere Interessierte an der Ökologie allgemein. Die Kernaussage der Tagung war: Die Probleme der Menschheit sind lösbar! Doch stellen sich einige Gemeinheiten in den Weg dieser idealistischen Aussage. Im Bereich der ökologischen, der sogenannten sanften, naturordnungsgemäßen Erfindungen, gibt es Hindernisse, die hauptsächlich durch die unterdrückerischen Maßnahmen der konkurrierenden Industrie (z.B. Öl-, Pharma-, Autoindustrie) zustandekommen, aber auch durch das Desinteresse der Öffentlichkeit, das heißt, dem fehlenden Bewusstsein und der mangelnden Flexibilität, neue Denkweisen anzunehmen und zu verinnerlichen. Doch die öffentliche Meinung wird ja auch geformt, mutmaßlich von Interessensgruppen, die wirklichen Veränderungen entgegenstehen. Mit dem Drei-Liter-Auto ist noch gar nichts gewonnen, vielmehr ist dies wieder nur die Verhöhnung von Verbrauchern, die ernsthaft etwas gegen die Umweltverschmutzung tun wollen. Es wäre schon längst ein Ein-Liter-Auto möglich - eine kleine Firma stellt es schon her - was auf der Tagung allerdings nicht zur Sprache kam. Doch nicht einmal das ist eine nützliche Lösung, denn das sogenannte Wasserstoff-Auto kommt wahrscheinlich erst in 15 Jahren auf den Markt, obwohl es schon längst entsprechende Prototypen gibt, die ausgereift sind. Der Nachteil des Wasserstoff-Autos, dass keine Emissionen produziert und aus dessen Auspuff nichts als Wasser kommt, ist, dass der Wasserstoff erst einmal produziert werden muss und solange diese Energie mit Atomenergie oder Kohle produziert wird, beisst sich der Hund in den Schwanz, die schädlichen Effekte der Energieproduktion, die das Wasserstoff-Auto spart, finden sich dann bei den Wasserstoffherstellern wieder. Und wieder wird der Verbraucher an der Nase herumgeführt, denn solange der Wasserstoff nicht umweltfreundlich hergestellt wird, macht er die gleichen Fehler wie fossile Brennstoffe. Eine Übergangslösung könnte das sogenannte Hybrid-Auto sein, das zwar mit Benzin fährt, aber bei der Fahrt einen Akku auflädt, der dann einen zusätzlichen Elektromotor antreiben kann, d.h. der Fahrer kann bei niedrigen Geschwindigkeiten (Stadt) mit dem Elektromotor fahren und die Energie dafür bei höheren Geschwindigkeiten selbst produzieren. Das kann aber auch nicht der Weisheit letzter Schluss sein, denn es werden immer noch Kohlendioxid und Schadstoffe in die Luft gepustet. Biodiesel ist da schon etwas besser; das verbrannte Raps-, Hanf- oder Sonnenblumenöl setzt nur das Kohlendioxid frei, das die Pflanze bei ihrem Wachstum durch die Photosynthese aufgenommen hat. Dass nicht genügend Platz da ist, um die Pflanzen anzubauen, ist eine Mär. Außerdem kann das Nebenprodukt, der ausgepresste Raps oder Hanf wunderbar als Futter verwandt werden, der Hanf sogar noch vielseitiger als z.B. Textil- oder Papierfaser, was auch dem Abholzen von Bäumen entgegenwirkt. Dass die Ölindustrie solchen Entwicklungen natürlich durch ihren Einfluss entgegenwirkt, versteht sich von selbst. Sie verdient so viel mit Erdöl, dass sie alles daran setzt, dass das auch so bleibt. Natürlich verdient auch der Staat mit der Besteuerung von Benzin, was eine Erklärung dafür sein könnte, dass die Förderung von alternativen Energien nur halbherzig geschieht. Beispiel: Trotz der Förderung von Solaranlagen kostet sie etwa 30.000 Euro für ein Einfamilienhaus, und wer möchte dieses Geld schon ausgeben, wenn er Strom inzwischen so billig bekommt... Ich denke, dass die Tatsache, dass Solaranlagen so teuer sind, nicht nur an der geringen Nachfrage oder an der (noch) teuren Produktion liegt, sondern vielmehr daran, dass die Energielieferanten ihren Markt behalten wollen. Glücklicherweise wird diese Energie vermehrt durch Windkraft produziert und wenn diese Entwicklung anhält, sehen wir besseren Zeiten entgegen. Arbeitsplätze würden durch ökologische Produkte ebenfalls geschaffen, aber ein angeblich sozialer Bundeskanzler schimpft lieber auf eine verschwindend geringe Anzahl von Drückebergern, als seine Versprechen wahrzumachen. Mich wundert auch, dass zwar die Grünen in der Regierung sind, sich aber sehr wenig tut in Sachen Ökologie; z.B. stehen Bauern, die auf ökologischen Landbau umstellen wollen, vor immensen finanziellen Problemen, die sie allein bewältigen müssen. Statt dessen wird die Massentierhaltung und die Nutzung von gefährlichen Pestiziden auch noch subventioniert. Und das, obwohl die Grünen seit 1998 in der Regierungsmitverantwortung sind. Die Öko-Steuer ist auch so ein Knaller, da sie nicht für ökologische Zwecke verwandt wird. Man braucht ja auch das Geld für die Effekte der Massentierhaltung, wie MKS, BSE und das Vollpumpen der Tiere mit Medikamenten, um sie ruhig zu stellen und Krankheiten zu verhindern. Am Rande: Schweine müssen aufgrund ihrer Intelligenz mit Medikamenten vollgestopft werden, um nicht zu Kannibalen zu werden, das heißt aufgrund ihrer grausamen Lebensumstände nicht durchzudrehen. Auf die Idee, die Schweine einfach entsprechend ihrer Bedürfnisse zu halten, kommt wegen mangelnden Mitleids und Effektivitätswahns keiner. Dass Antibiotika und Beta-Blocker dann auf unseren Tellern landen, ist ein Nebeneffekt, wobei die Antibiotika eine direkte Wirkung auf uns zeigen: durch die Bombardierung unseres Organismus mit Antibiotika stellen sich die Bakterien darauf ein, sie entwickeln Resistenzen, was dazu führt, dass viele Antibiotika bei uns nicht mehr wirken und wenn es so weiter geht, bald nicht einmal mehr die stärksten. Sinnvoll gegen solche Entwicklungen, die alle aus der lebewesenunwürdigen Haltung resultieren, wäre eine freie Haltung mit genügend Raum, um dem Tier ein vernünftiges, soziales Leben zu ermöglichen. Konzepte für so eine Art der Haltung gibt es schon ewig, wie vieles, von dem wir so gut wie nichts erfahren. Nur interessiert es kein Schwein, ob es dem Schwein gut geht, der Verbraucher will es billig, also passen sich die Bauern an und ergeben sich dem Preiskampf auf einem Markt, dem es egal ist, unter welchen schlimmen Bedingungen die Tiere leben müssen. Von Interesse ist es erst dann, wenn der Mensch bedroht ist, also seine Lebensqualität gemindert wird. Die Agrarindustrie und der Supermarkt von nebenan können sich nicht aus der Verantwortung nehmen und sich nur an die Gesetze des Marktes halten, was wohl für die gesamte Lebensmittelindustrie gilt. Eigentlich gibt es schon so viele fantastische Erfindungen, die für die Natur arbeiten, dass tatsächlich alle unsere Probleme lösbar wären. Auf der Tagung wurde eine Erfindung vorgestellt, die komplette Seen und Wälder sanieren kann! Dass diese Erfindung von wissenschaftlicher Seite nicht akzeptiert wird, hat folgenden Grund: Die Wissenschaft kann nicht nachvollziehen, warum die Erfindung funktioniert. Der Effekt ist eindeutig zu beobachten, dem See oder Wald geht es nach der Behandlung mit der Erfindung wieder gut. Nur der Wissenschaftler alter Schule möchte davon wenig wissen, da man nicht erklären kann, wie genau der heilsame Effekt zustande kommt. Wissenschaftler und ihre Vorurteile sind auch ein Grund, warum es wohl niemanden interessiert, was diese Erfinder da entwickelt haben. Die Wissenschaft muss wohl umdenken, ihre Paradigmen (als selbstverständlich angesehene Erkenntnisse) über den Haufen werfen und wohl sogar die Tatsache akzeptieren, dass sogar chwermetalle abbaubar sind, so wurde auf der Tagung gesagt! Ich habe dem Erfinder der oben genannten Erfindung den Vorschlag gemacht, er solle sich an Organisationen wie Greenpeace wenden, doch mache ich mir wohl Illusionen über speziell diese Gruppe, die immer so tapfer gegen die Ungerechtigkeiten herrschender Verhältnisse kämpft, denn der Erfinder hatte sich schon an sie gewandt und es hat sie einen feuchten Dreck interessiert. Das hat mich verwundert, da sie doch schon vor etlichen Jahren das Drei-Liter-Auto gegen alle Widerstände vorgestellt haben, was mir wenigstens damals als eine Alternative erschien. Auch wissenschaftliche Medien waren nicht interessiert an dieser Erfindung. Schade, dass eine gute Sache an verkrusteten Strukturen scheitert, obwohl sie so viele Vorteile vereinen würde: Seen und Wälder könnten gerettet und Arbeitsplätze geschaffen werden. Die Essenz der Tagung: Öko-Erfindungen müssen das öffentliche Bewusstsein erreichen können, die Schranken des Marktes, der Wissenschaft und Politik müssen sich heben und sich für neue Entwicklungen öffnen, wie auch die Medien, in denen äußerst selten Berichte über neue Entwicklungen auftauchen. Der Satz, die Probleme der Menschheit seien lösbar, hat mich am meisten beeindruckt, da man aus den Medien nur pessimistische Prognosen vorgekaut bekommt. In der Diskussion wurden Dinge offenbar, die mich sehr ärgern: Schon bemerkt, dass die Bahnpreise steigen, parallel zu den Benzinpreisen? Das liegt daran, dass Autolobbyisten im Vorstand der Bahn sitzen, die wohl mehr die Interessen der Auto-Industrie vertreten, als die der Bahnkunden oder gar ökologische Grundsätze. Zum Schluss noch eine Tatsache, die jeden Zähneputzer betrifft. Ein auf der Tagung anwesender Internist hat mir verraten, dass fluoridhaltige Zahnpasta die Bandscheiben schwer schädigt. Dabei wird gerade das Fluorid (Fluor) von den Zahnpasta-Herstellern so gepriesen. Kontakte: Verlag Zur Heilen Welt, Tel:02292/7906, Hurster Str.2, 51570 Windeck/Sieg Stiftung für Ökologie und Demokratie e.V., Tel:07272/3648, Siemensring 54, 76761 Rülzheim, www.stiftung-oekologie-u-demokratie.de Interdis - Internationale Gesellschaft für Interdisziplinäre Wissenschaften, Präsident: Hans Kaegelmann, Postfach 1168, 51556 Windeck/Sieg Spruch des Monats: Hast du nach innen das Mögliche getan, gestaltet sich das Äußere von selbst. Goethe Wie weit darf die Kommerzialisierung des menschlichen Lebens gehen? ___________________________________________________________________ Harald Neuber 23.06.2001: Im spärlich gefüllten Plenum des Bundestag wurde über die EU-Richtlinie für Biopatente diskutiert. Rund ein Jahr nach der Entschlüsselung des menschlichen Genoms durch das "Humangenomprojekt" und Celera hat der Bundestag in einer ersten Lesung über die Umsetzung der europäischen Richtlinie für Biopatente beraten. Das Papier 98/44/EC über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen sieht unter anderem Patente auf Teile des Menschen, von Tieren oder von Pflanzen vor. Mit der Bewilligung eines solchen Patentes fiele nicht nur der Organismus, sondern auch dessen Nachkommen und Kreuzungen unter die Verfügungsgewalt des Patentinhabers. "Artikel 3 (2) Biologisches Material, das mit Hilfe eines technischen Verfahrens aus seiner natürlichen Umgebung isoliert oder hergestellt wird, kann auch dann Gegenstand einer Erfindung sein, wenn es in der Natur schon vorhanden war." Schon Tage vor der Debatte meldeten Kritiker der kommerziellen Verwendung von Gentechnik ihren Protest an. Am vergangenen Montag übergaben Aktivisten des "Gen-ethischen Netzwerkes" (GeN) in Berlin ein Positionspapier samt Unterschriftensammlung gegen die Umsetzung der Biopatentrichtlinie an die Vizepräsidentin des Bundestages, Antje Vollmer. Nach Angaben des Netzwerkes hatten rund 15000 Menschen einen Aufruf gegen die Patentierung von Leben unterschrieben. Die Aktion wurde auch vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) und mehreren lokalen und regionalen Initiativen unterstützt. Pünktlich zu der Debatte im Bundestag meldete aber auch die Umweltschutzorganisation Greenpeace ihren Protest gegen die Erteilung des Patentes auf ein Brustkrebs-Gen durch das Europäische Patentamt (EPA) an. Damit sei man der Privatisierung menschlichen Lebens ein Stück näher gekommen, heißt es in einer Erklärung der Organisation. Schon nach der Entschlüsselung des menschlichen Genoms hatten Greenpeace und andere renommierte Umweltschutzorganisationen auf die nebulösen Intentionen einiger der beteiligten Forscher und Institutionen hingewiesen. Kritisiert wurde auch, dass ausgerechnet Wissenschaftler, die sich gegen eine solche Patentierung aussprechen, solche Patentanträge gestellt hätten. Unter den genannten Namen fand man auch den von Ernst-Ludwig Winnacker, dem Präsidenten der Deutschen Forschungsgesellschaft. "Artikel 4 (1) Nicht patentierbar sind a) Pflanzensorten und Tierrassen, b) im wesentlichen biologische Verfahren zur Zuechtung von Pflanzen oder Tieren. (2) Erfindungen, deren Gegenstand Pflanzen oder Tiere sind, können patentiert werden, wenn die Ausführungen der Erfindung technisch nicht auf eine bestimmte Pflanzensorte oder Tierrasse beschränkt ist. (3) Absatz 1 Buchstabe b) berührt nicht die Patentierbarkeit von Erfindungen, die ein mikrobiologisches oder sonstiges technisches Verfahren oder ein durch diese Verfahren gewonnenes Erzeugnis zum Gegenstand haben." Ein Kernpunkt der laufenden Diskussion ist die Frage, wie weit der Schutz des geistigen Eigentums bei solchen Gen-Patenten reichen soll. Eine befriedigende Antwort gibt auch die zur Disposition stehende EU-Richtlinie nicht. Ähnlich wie bei den seit den sechziger Jahren gültigen Stoffpatenten steht dabei offen, ob ein Stoff - und nach der möglichen Übernahme der umstrittenen EU-Richtlinie auch Gene - unabhängig von der Umwelt patentiert werden können, oder ob sich ein solcher Eigentumsschutz nicht vielmehr auf eine klar definierte Wirkung beschränken müsse, deren Offenbarung die patentierte geistige Leistung ausmacht. Die Grüne Bundestagsabgeordnete Ulrike Höfgen mahnte in diesem Zusammenhang an, "Erfindungen (zu) belohnen, nicht aber Entdeckungen". Doch gerade im Fall des Brustkrebs-Gens ist Letzteres der Fall. Der US-amerikanische Pharmakonzern Myriad hatte den Patentantrag gestellt, nachdem das vermeintlich Brustkrebs auslösende Gen isoliert werden konnte. Myriad hat damit ein Anrecht auf Lizenzen an allen Diagnose-Verfahren sowie an der Verwendung des Gens für Therapien gegen Brustkrebs und zur Herstellung von Arzneimitteln gegen die Tumorbildung. Nach Meinung von Kritikern reicht die Entdeckung des Gens selber aber nicht aus, um den Schutz geistigen Eigentums geltend zu machen. Erschwerend kommt hinzu, dass unter den Schutz eben auch Funktionen fallen, die bislang noch nicht bekannt sind. Unklar ist bislang, ob das betreffende Gen auch für andere Arten von Krebserkrankungen verantwortlich ist. "Artikel 5 (1) Der menschliche Körper in den einzelnen Phasen seiner Entstehung und Entwicklung sowie die blosse Entdeckung eines seiner Bestandteile, einschließlich der Sequenz oder Teilsequenz eines Gens, können keine patentierbaren Erfindungen darstellen. (2) Ein isolierter Bestandteil des menschlichen Körpers oder ein auf andere Weise durch ein technisches Verfahren gewonnener Bestandteil, einschließlich der Sequenz oder Teilsequenz eines Gens, kann eine patentierbare Erfindung sein, selbst wenn der Aufbau dieses Bestandteils mit dem Aufbau eines natürlichen Bestandteils identisch ist. (3) Die gewerbliche Anwendbarkeit einer Sequenz oder Teilsequenz eines Gens muß in der Patentanmeldung konkret beschrieben werden." Während die Deutsche Forschungsgesellschaft der Entwicklung mit Wohlwollen begegnet, hagelt es von der Deutschen Ärztekammer scharfe Kritik. Deren Präsident Jörg-Dietrich Hoppe nannte die Entscheidung des EPA "besorgniserregend". Forschenden Medizinern schwant, dass durch die Breite des Patentschutzes in erster Linie eine Blockade des wissenschaftlichen Umgangs mit dem neuen Wissen zugunsten merkantiler Mechanismen etabliert wird. Wissen in bislang kaum einschätzbarem Ausmaß werde derart dem Allgemeinwohl entzogen. Diese Bedenken setzen sich auch auf europäischer Ebene fort: Während die nordischen Länder sich mehrheitlich für die Biopatentrichtlinie entschieden haben, wurde das Papier in Frankreich auf unbestimmte Zeit zurückgesetzt. Die Niederlande und Italien haben beim Europäischen Gerichtshof Klage gegen die Bestimmung erhoben. "Artikel 6 (1) Erfindungen, deren gewerbliche Verwertung gegen die öffentliche Ordnung oder die guten Sitten verstossen würde, sind von der Patentierbarkeit ausgenommen, dieser Verstoß kann nicht allein daraus hergeleitet werden, daß die Verwertung durch Rechts- oder Verwaltungsvorschriften verboten ist. (2) Im Sinne von Absatz 1 gelten unter anderem als nicht patentierbar: a) Verfahren zum Klonen von menschlichen Lebewesen; b) Verfahren zur Veränderung der genetischen Identität der Keimbahn des menschlichen Lebewesens; c) die Verwendung von menschlichen Embryonen zu industriellen oder kommerziellen Zwecken; d) Verfahren zur Veränderung der genetischen Identität von Tieren, die geeignet sind, Leiden dieser Tiere ohne wesentlichen medizinischen Nutzen für den Menschen oder das Tier zu verursachen, sowie die mit Hilfe solcher Verfahren erzeugten Tiere." Im Bundestag verweist man indes auf Sachzwänge. Diese Art Richtlinien seien geltendes europäisches Recht, dessen Anerkennung sich die Bundesrepublik nicht erwehren könne, erklärte Eckhard Pick, Parlamentarischer Staatssekretär der SPD. Zudem sei die Ethikdiskussion vorab schon im Europäischen Parlament geführt worden. Pick sieht mit der Richtlinie einen rechtlichen Freiraum im Patentrecht gefüllt. Die nämlich stammt in der geltenden Form aus dem Jahr 1877. Nicht zuletzt werde durch explizit ausgesprochene Patentierungsverbote Würde und Unversehrtheit menschlichen Lebens gewährleistet. Diese Meinung fand in den spärlich gefüllten Reihen des Plenums offenbar keine Mehrheiten. Während nämlich gleich im ersten Absatz des ersten Paragraphen der Richtlinie erklärt wird, dass der menschliche Körper und Teile von ihm kein Objekt einer Patentanmeldung sein können, wird diese Möglichkeit gleich darauf für Gene ausdrücklich erlaubt. Welche von beiden Aussagen nun entscheidend ist, bestimmte nicht nur die Debatte am Donnerstag. Christoph Then, Gentechnik-Experte von Greenpeace jedenfalls äußert die Vermutung, dass hier "eine rechtliche Grauzone geschaffen werden soll", was der einzige Sinn des Entwurfes sei. Erwartungsgemäß kritische Anmerkungen kamen in der Debatte daher aus der CDU/ CSU-K-Fraktion, aus der es hieß, Gene seien keine Bodenschätze und Patentbüros keine Bergämter. Die Frage, weshalb die Bundesregierung unter Verweis auf die Verbindlichkeiten der Europäischen Union gegenüber die offenbar mangelhafte Richtlinie übernehmen wolle, warf nicht nur der PDS-Bundestagsabgeordnete Ilja Seifert auf. Vor einer Verabschiedung forderte er die Ausräumung der Widersprüche im Gesetz. Eigentum am Menschen sei schließlich zuletzt mit der Sklaverei praktiziert worden, "und die ist meines Wissens nach abgeschafft". Links: http://europa.eu.int/eur-lex/de/lif/dat/1998/de_398L0044.html http://www.gen-ethisches-netzwerk.de/presse/pm010611.pdf http://www.bund.net/ http://www.bundestag.de/pp/176/index.html http://www.greenpeace.de/ Artikel-URL: http://www.telepolis.de/deutsch/special/leb/7950/1.html Der Gen-Glaube als soziale Phantasie ____________________________________ Auf der kurz zuvor in Berlin stattgefundenen Konferenz "Geist gegen Gene" sagte Silja Samerski, Genetikerin aus dem Arbeitskreis um den Medizinkritiker Ivan Illich: "Die Gene reiben einem das Risikomanagement unter die Haut. Man soll sich selbst aus der Sicht eines Versicherungsmaklers sehen". Ivan Illich selbst sprach über eine frühere Form der Diagnostik: "1938 bin ich zum Bewusstsein meiner Nase gekommen". Damals hätten die Nationalsozialisten eine Diagnostik per Nase betrieben, die als Rassenmerkmal galt. Über die Gene solle man ebenso mitleidig lachen wie über das Konstrukt der Rasse, sagte Illich. Er beklagte, dass inzwischen ein Großteil der Bevölkerung zum Gen-Glauben bekehrt worden sei: "Ich fordere die Entkehrung!" Wenn Atheisten Leute seien, die nicht an Gott glauben, müssten Menschen, die nicht an die Gene glauben, ja Agenisten genannt werden. Insofern bezeichne er sich als Agenisten. "Wenn Sie denken, dass hier ein Genotyp als Phänotyp sitzt, gehen Sie bitte raus. Hier sitzt kein Genom, das zum Ausdruck kommt." (siehe auch: Das Recht auf Gedankenfreiheit ist nicht beschränkt auf Gedanken, die staatlicherseits für gesund gehalten werden).